Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Sozialstaat. Dies ist in Artikel 20 des Grundgesetzes geregelt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“. Der Sozialstaat ist neben der Menschenwürde und den Menschenrechten ein Grundpfeiler der „Freiheitlich Demokratischen Grundordnung“. Nach dem Sozialstaatsprinzip handelt es sich bei der Bundesrepublik Deutschland um einen demokratischen Staat, in dem sich Menschen zusammengeschlossen haben, um gemeinsam für Wohlstand und soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Jeder Bürger soll damit auch die Möglichkeit haben, sich aktiv an politischen und gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen.
Der Sozialstaat deckt alle für die Menschen wichtigen Lebensbereiche ab: Chancengleichheit, Armutsbekämpfung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oder Kindererziehung. Um das Wohlergehen der Menschen in diesen Lebensbereichen sicherstellen zu können, muss der Staat finanzielle Mittel aufbringen. Einen Großteil dieses Geldes wird aus Steuereinnahmen finanziert, die die Bürger durch ihre Arbeitsleistung selbst aufbringen. Der Sozialstaat lebt vom Prinzip der Solidargemeinschaft. Er funktioniert nur, wenn die Bürger auch in schwierigen Zeiten füreinander einstehen. Der Staat sorgt dann dafür, dass die Mittel möglichst gerecht verteilt werden.
Geschichte des modernen Sozialstaates
Die Ursprünge des deutschen Sozialstaates liegen im 19. Jahrhundert. Der Begriff „Sozialstaat“ wurde jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg gebräuchlich. Im Zuge der Industrialisierung fand im 19. Jahrhundert eine große Abwanderung der Bevölkerung vom Land in die Städte statt. In den Städten wurden viele Arbeitskräfte benötigt. Obwohl die Industrialisierung einen wirtschaftlichen Aufschwung bedeutete, profitierten nur die wenigsten Menschen davon. Für die Arbeiter verbesserten sich die Lebensumstände kaum. Sie mussten zwölf oder mehr Stunden am Tag arbeiten, lebten unter erbärmlichen Bedingungen, hatten keine geregelten Arbeitszeiten, und sogar Kinderarbeit war an der Tagesordnung. In den 1830er Jahren begannen sich die Arbeiter gegen ihre Arbeitsbedingungen aufzulehnen. Damit es nicht zu weiteren großen Aufständen kam, sorgte Reichskanzler Otto von Bismarck in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dafür, dass sich die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter verbesserten, indem er eine Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung einführte. Die Kinderarbeit wurde Anfang des 20. Jahrhunderts abgeschafft, und 1927 eine Arbeitslosenversicherung eingeführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand der Sozialstaat in seiner heutigen Bedeutung seine Verankerung im Grundgesetz. Doch spätestens in den 1980er Jahren zeigte sich, dass aufgrund verschiedener wirtschaftlicher, demografischer und sozialer Entwicklungen das System des Sozialstaates nicht mehr so aufrecht gehalten werden kann, wie ursprünglich gedacht. Eine dauerhafte hohe Arbeitslosigkeit, niedrige Geburtenraten, die Wiedervereinigung, eine größere Zahl an Ein-Kind Familien, sowie auf internationalem Niveau der europäische Binnenmarkt und die Globalisierung brachten Löcher im Sozialstaat zu Tage. Diese konnte das System, wie 1949 erdacht, nicht mehr auffüllen. Darum wurden in den 1990er Jahren verschiedene Versuche unternommen, den Sozialstaat zu reformieren, unter anderem mit der Erhöhung der Krankenversicherungs- und Rentenbeiträge. Ende der 1990er Jahre fand schließlich mit der Einführung der Hartz-IV-Gesetze eine tief greifende Umwandlung des Sozialsystems statt. Seitdem haben sich zum Beispiel die Bedingungen verschärft, wann einem arbeitslosen Menschen Sozialleistungen zustehen und wann nicht.
Rechtliche Grundlagen des Sozialstaates
Der Sozialstaat ist eine allgemeine Staatszielbestimmung in der Bundesrepublik Deutschland. Er ist in Art. 20 Abs. 1 mit „sozialer Bundesstaat“ und in Art. 20 Abs. 2 mit „sozialer Rechtsstaat“ benannt. Die Rechtsbegriffe „soziale Gerechtigkeit“ und „soziale Sicherheit“ definieren den Sozialstaat darüber hinaus noch genauer. Weitere Artikel des Grundgesetzes, die für den Sozialstaat relevant sind, betreffen Art. 1 Abs. 1 die Unantastbarkeit der Würde des Menschen, Art. 3 Abs. 1 das Recht auf Sozialleistungen und Art. 6 Abs. 1 der Schutz von Ehe und Familie. Daneben gibt es die drei Kernprinzipien der sozialen Sicherungssysteme: „Versicherungsprinzip“, „Fürsorgeprinzip“ und „Versorgungsprinzip“. Diese regeln die Rechte und Pflichten der Bürger gegenüber dem Staat und andersherum, die die Ausgestaltung des Wohlfahrtsstaates betreffen. Schließlich gibt es das Prinzip der „Subsidiarität“. Sie definiert das Verhältnis zwischen der Verantwortung des Individuums und der Verantwortung des Staates. Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, wie der Sozialstaat gestaltet werden sollte. Der deutsche Sozialstaat ist ein eher „konservativer“ Wohlfahrtsstaat. Charakteristisch für den konservativen Wohlfahrtsstaat ist, dass der Staat nur kurzfristig oder aus wichtigen politischen Gründen in die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Belange eingreift. Im „sozialdemokratischen“ Wohlfahrtsmodell, wie es in Skandinavien zu finden ist, kommt dem Staat eine viel größere Rolle zu, soziale Gerechtigkeit und eine niedrige Arbeitslosigkeit herzustellen. Im „liberalen“ Wohlfahrtsmodell hingegen, das vor allem in Nordamerika vorherrscht, hält sich der Staat möglichst aus der Wirtschaft und gesellschaftlichen Belangen heraus.