Aufgrund der immer wieder aufflammenden Debatte über das islamische Recht und seine Ausprägungen, möchten wir an dieser Stelle auf zwei Begrifflichkeiten näher eingehen, um Klarheit zu schaffen. In vielen sog. „Expertengesprächen“ und vor allem aus den Stimmen des Volkes, können wir eine Vermischung beider Termini (Scharia und Fiqh) wahrnehmen.
Die „Scharia“ (arab.: „الشريعة“, aš-šarīʿah) stammt von „َشَرَع“ (šaraʿa) und bedeutet im Ursprung: Weg zur Tränke bzw. Wasserstelle. Im islamischen Kontext bedeutet es jedoch „das offenbarte Gesetz Gottes“ bzw. auch das „kanonische Gesetz“. Der Zusammenhang zwischen dem linguistischen Ursprung und dem islamischen Fachtermini liegt darin, dass der Mensch, wenn er allein auf sich gestellt wäre verdursten würde und der göttliche Weg symbolisiert jene Wasserquelle, wodurch der Mensch überleben kann. Die Scharia führt zur Quelle der Offenbarung, zur Zufriedenheit Gottes und dem inneren Frieden des Menschen. Im gesamten Heiligen Koran kommt das Wort „šarīʿah“ nur ein Mal vor und dies im Zusammenhang mit dem Islam als Religion (45:18). Wir können also festhalten, dass die Scharia eine Reihe von Gesetzen und Vorgaben ist, die Gott, der Erhabene, dem Menschen offenbart hat, die ihr Leben – sei es privat oder gesellschaftlich – zum Guten leitet. Daher wird Gott auch als „der heilige Gesetzgeber“ (aš-šāriʿ al-muqaddas) bezeichnet, d.h. Der Urheber und Offenbarer des religiösen Gesetzes.
Das arabische Wort Fiqh (arab.: ٌفِقْه) stammt von „َفَقِه“ (faqiha; dt.: verstehen, begreifen) und bedeutet „Verständnis, Kenntnis, Einsicht“. Im islamischen Kontext bedeutet es „islamische Rechtswissenschaft“. Dr. ʿAbdul-Hādī al-Faḍlī schreibt in seinem Buch „Mabādiʾ ʿilm al-Fiqh“: „Al-Fiqh ist die Kenntnis von den Urteilen der praktischen Scharia (al-aḥkām aš-šarīʿah al-farʿiyah) und ihre differenzierten Beweise.“ Kurz gesagt, es ist die Kenntnis vom islamischen Recht. So können wir sagen, dass Fiqh sich lediglich auf den praktischen Teil der Religion bezieht und nicht etwa z.B. Auf die Glaubensüberzeugungen (ʿāqīdah). Außerdem müssen wir festhalten, dass Fiqh eine angewandte Wissenschaft vom Menschen ist und die Scharia dagegen die unantastbare, authentische Basis, die zu erreichen ist. Die Rechtsgelehrten, die sich mit Fiqh beschäftigen nennt man auch „Fuqāhāʾ“ bzw. im Singular „Faqīh“ (männlich) und „Faqīhah“ (weiblich). Die Grundlage bzw. die Quellen der Rechtswissenschaft (maṣādir al-fiqh) sind vier:
1. Das Buch (al-kitāb), d.h. der Heilige Koran, das authentische Wort Gottes und primäre Rechtsquelle. In ihm sind in etwa 500 sog. Verse der Urteile (ayāt al- aḥkām) enthalten, d.h. Verse, die einen juristischen Bezug haben.
2. Die Tradition (as-sunnah), d.h. die Rede (al-qawl), die Handlung (al-feʿl) und die Bestimmung (at-taqrīr) des Propheten Mohammad (s) und der reinen Imame (a).
3. Der Konsens (al-iǧmāʿ), d.h. eine Übereinstimmung der Gelehrten auf ein religiöses Urteil.
4. Die Vernunft (al-ʿaql)
Vor allem die letzten beiden Rechtsquellen benötigen einer ausführlicheren Darlegung, um sie besser zu verstehen, da sie sehr viele Voraussetzungen erfüllen müssen, um rechtsfähig zu sein. Dies jedoch an einer anderen Stelle.
Abschließend können wir sagen, dass ein sichtbarer Unterschied zwischen Scharia und Fiqh existiert. Die Scharia ist die göttlich offenbarte, die reale Gesetzgebung und im Fiqh versucht ein Rechtsgelehrter bzw. eine Rechtsgelehrte die Urteile jener Gesetzgebung zu erschließen bzw. freizulegen.